Zeitgleich mit dem Kinostart von Giorgino wurden in Frankreich großangelegte Marketing- und Promotionkampagnen gestartet. Neben Film- und Radiotrailer in Funk und TV, wurden Anzeigen in Fachzeitschriften geschaltet und großflächige Plakate geklebt. Darüber hinaus wurden Merchandising Artikel wie T-Shirts und Sweat-Shirts im Handel angeboten.
Diverse Presseberichte
Zeitschriften / Magazine:
Langarm Sweatshirts
Polygram (Okt. 1994)
Giorgino Feuerzeug zum 30-jährigen
Filmjubiläum (Sep. 2024)
Diverse TV Berichte/Interviews
Sendezeiten:
Ankündigung - Soundtrack
(1994)
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INTERVIEW MIT LAURENT BOUTONNAT
Studio Magazin - Oktober 1994
Interview von Juliette Michaud
Juliette Michaud: Seit zehn Jahren arbeiten Sie mit Mylène Farmer zusammen - dieser erste Film, den Sie gedreht haben, erscheint wie eine Art von Endergebnis. Hatten Sie seit dem Beginn den Ehrgeiz, eines Tages zum Kino überzugehen?
Laurent Boutonnat: Wir hatten beide immer ein sehr starkes Verlangen, Filme zu machen. Von meiner Seite her träume ich davon seit meiner Kindheit. Was Mylène angeht, so hatte sie, bevor sie sich für die Musik entschied, vorgehabt, Schauspielerin zu werden. Es war deshalb natürlich, daß wir uns recht schnell vorgestellt hatten, gemeinsam einen Film zu drehen.
Aber die Tatsache, daß Ihre beiden romantischen, dennoch extrem ungewöhnlichen Universen dermaßen gut zusammenpassen, ist etwas sehr seltenes, oder?
Mylène hat dieses Universum in sich, ich habe es in mir. Es gibt hier keinen Zufall. Es wäre zu schwierig, zusammenzuarbeiten, wenn wir gegensätzliche Verlangen hätten. Aber ich frage mich, ob man, von dem Moment an, wo man viel Zeit mit jemandem verbringt, nicht damit endet, selbst wenn man zu Beginn recht verschieden ist, sich wieder zusammenzufügen/wiederzuvereinigen.
In «Giorgino» ist die romantische Atmosphäre noch ergreifender als in Ihren Clips. Es ist ein wirklich romantischer Film. Man denkt unwillkürlich an die gesamte gothische Literatur. Ist Ihre Lektüre die Quelle Ihrer Inspiration?
Meine Arbeit ist die Summe vieler Dinge. Aber es stimmt, daß ich schon immer die englische Literatur des 19. Jahrhunderts gemocht habe: Henry James, Die Brontë-Schwestern... Genauso mag ich die russische Literatur dieser Zeit, die von der gleichen Stimmung ist, aber mit einem roherem Stil.
In «Giorgino» findet man viele Symbole dieser Literatur: die Wölfe, die Schleiereule, das schwarze Pferd, den Vollmond...
Ja, man hat mir sogar gesagt, daß das schwarze Pferd die Hauptfigur des Films ist, was nicht verkehrt ist (lächelt). Aber das sind Archetypen, Bilder der Kindheit, die in der ganzen Welt ruhen, mehr oder weniger stark.
Welches war genau der Auslöser, der sie auf das Thema von «Giorgino» gebracht hat?
Der wirkliche Ausgangspunkt war ein Skript, das ich im Alter von 17 oder 18 Jahren geschrieben habe, innerhalb von 15 Tagen, dessen zentrale Figur bereits Giorgino hieß. Später habe ich meinen Co-Drehbuchautor, Gilles Laurent, getroffen, mit dem ich das Manuskript wiederaufgenommen habe, welches wir komplett umgearbeitet haben. Von daher hat das endgültige Drehbuch von «Giorgino» praktisch nichts mehr mit dem ursprünglichen Skript zu tun.
Wann haben Sie begonnen, Kino/Filme zu machen?
Ich habe im Alter von zehn Jahren damit angefangen, Filme auf Super 8 zu drehen. Dann habe ich begonnen, kleine Geschichten zu schreiben, die ich umgesetzt habe, in denen ich auch selbst mitspielte.
Sie haben im Alter von 17 Jahren sogar einen Spielfilm gedreht, «Ballade de la féconductrice» («Ballade der anführenden Fee»??), der 1980 in einem Kino in Paris lief, und der für Zuschauer unter 18 Jahren verboten war...
Mit 17 hat man das starke Verlangen, die Erwachsenen zu schockieren. Das war eine jugendliche Fantasterei, von der ich mir den Spaß gemacht habe, sie zu drehen, mit sehr wenig Geld. Ich habe alles gemacht: die Maske, die Kostüme... Ich drehte eine Szene und entwickelte die Rolle am Nachmittag... Schließlich wurde es ein Film von einer Stunde 15 Minuten Länge. Ich erinnere mich nicht mehr so gut daran, um ehrlich zu sein. Es war die Geschichte einer Serienmörderin, die sich vor jedem Mord als Clown verkleidete.
Was haben Sie danach gemacht?
Nach dem Misserfolg des Films war ich halbtot (lacht). Ich habe die Schule, in der ich ein Faulpelz war, mit 15 verlassen, um drei Jahre lang Theaterkurse zu besuchen. Danach habe ich diesen Film gedreht, anschließend stellte mich ein Fernsehreporter an, Jean-François Chauvel, der ein großartiger Typ war und inzwischen tot ist, als Kameramann für eine Reihe von wissenschaftlichen Reportagen über Kernenergie. Ich habe vorgegeben, mich in Technik auszukennen, damit er mich nimmt, und ich mußte wie ein Verrückter das Handbuch pauken! Innerhalb eines Jahres habe ich viel bei ihm gelernt.
Wie ist der Regisseur, der Sie waren, zum Komponisten geworden?
Ich habe Musik schon sehr früh erlernt. Aber ich habe nie daran gedacht, damit meinen Lebensunterhalt zu verdienen, geschweige denn, Platten rauszubringen. Mit 19 Jahren, als ich ständig versuchte, Filme zu machen, habe ich mit einem befreundeten Musiker das Lied «Maman a tort» komponiert, welches das erste Lied für Mylène wurde. Etwas später habe ich mich von diesem Freund getrennt, aber ich bin mit Mylène zusammengeblieben.
Sind die Clips also eine umgeleitete Möglichkeit geworden, Kino zu machen?
In gewisser Weise. Ich war begeistert, weil mir das auch die Möglichkeit gab, das notwendige Geld zu sammeln, um Filme zu drehen, und zu der Zeit habe ich gelernt, mit dem zufrieden zu sein, was ich machte im Leben. Vorher, selbst durch die Zusammenarbeit mit Mylène, hatte ich immer das Gefühl, dilettantisch zu arbeiten.
Wie erinnern Sie sich an das Abenteuer des Drehens von «Giorgino»? Mylène Farmer sagte, daß Sie sich während der Dreharbeiten vor anderen geschützt haben...
Ich habe das in der Tat in Studio gelesen (lacht). Von dem Moment an, in dem die Dreharbeiten begannen, war der Druck dermaßen groß, daß mein Verhalten unkontrollierbar wurde. Man denkt weder an sich noch an andere. Man ist jemand anderes. Ich hatte den Eindruck, verrückt zu sein, in einer anderen Welt. Ich hätte eiskalt jemanden töten können!
«Giorgino», dessen einziger Produzent Sie sind, besitzt auch sehr wichtige Zwänge finanzieller Art, und dennoch, entgegen allen Erwartungen, ist die Hauptfigur nicht Mylène Farmer, sondern ein junger unbekannter Schauspieler, Jeff Dahlgren, der vorher noch niemals in einem Kinofilm gespielt hat...
Dieser Film ist vor allem die Geschichte von Giorgino. In Anbetracht des Status von Mylène in der Öffentlichkeit hätte die Logik gewollt, daß sie die Hauptrolle spielt, und man hat mir vorgeworfen, daß das nicht der Fall sei. Aber diese Logik hat keinen Sinn vor dem Hintergrund des Drehbuchs, das ganz anders ist. Die Figur von Mylène ist nicht so häufig auf dem Bildschirm zu sehen wie Giorgino, aus dem einfachen Grund, weil die Geschichte es erfordert. Es sind die Figuren, die entscheiden.
Hat Mylène Farmer bei gewissen Szenen eingegriffen (sich eingemischt)?
Sie ist immer eingeschritten, um mir in gewissen Momenten des Zweifels zu helfen, schweren Momenten, wo man in Verzug war, und die sehr teuer/kostbar sind.
Zwischen dem Ende der Dreharbeiten und dem Erscheinen des Films heute liegt fast ein Jahr. Wieso eine derart lange Verzögerung?
Das war in der Tat besonders lang, und sehr schwierig, von der körperlichen Seite her. Ich blieb fast zehn Monate im Schneideraum. Und als ich ihn verließ, blieb mir immer noch die Musik zu schreiben. Das war eine pausenlose Arbeit, ohne Abende, ohne Wochenenden. Und keine frische Luft! Von Zeit zu Zeit bin ich Schwimmen gegangen, um nicht wie ein Alter zu enden...
Das bestätigt Ihren Ruf, alles alleine machen zu wollen. Fürchten Sie nicht manchmal, daß diese Art der Arbeit Sie vom Blick von außen durch Gesprächspartner abschneidet?
Weil Sie glauben, daß ich zehn Monate in einer Höhle verbracht habe, wie eine Ratte, ohne Begleitung? (lacht) Nein, ernsthaft, es gab dort meine Cutterin, Agnès, die Schneide-Assistenz, den Praktikanten, den Toningenieur... Sie waren es, die Kritik geäußert haben. Und Mylène auch, weil sie oft im Stadium der Postproduction eingegriffen hat. Sie ist jemand, deren Ansicht sehr direkt, sehr offen ist. Sie sagt die Dinge nicht, um mir damit einen Gefallen zu tun.
Haben Sie den Eindruck, einer Familie von Regisseuren anzugehören? Derjenigen der Cineasten des Bildes wie Luc Besson?
Die Zugehörigkeit zu einer Familie ist schwierig (lächelt). Mit Luc, den ich kenne, habe ich zwangsläufig einige Dinge gemeinsam, aber jeder hat seine Art zu filmen. Im Prinzip stelle ich mir nicht viele Fragen dieser Art. Wenn ich drehe, habe ich häufig die Kamera auf der Schulter, das ist eine Arbeit, wie man sie mit einem Stift oder einer Pincette tun kann. Mit der gleichen Spontaneität. Das heißt, wenn ich eine Szene im großen Rahmen drehe, ist es mir passiert, daß ich mich plötzlich, während der Aufnahme, bewege, zoome, um eine gedrängte/verzerrte Einstellung zu bekommen, die nicht vorhergesehen war.
Gibt es Cineasten oder Filme, auf die Sie sich beziehen?
Es gibt viele. Ich bewundere «Lawrence von Arabien», David Lean, Sergio Leone, auch Bergman, der Leone in seiner Art, Gesichter zu filmen, sehr nahe steht. Ich liebe Einstellungen auf Gesichter im Kino... auf einem Gesicht zu verweilen. Man hat nicht mehr die Zeit, das zu tun. Ich bewundere auch russische Filmemacher. Sie mögen diese Art, sich Zeit zu nehmen und auf einem Thema zu bleiben, bis sie einen wahrhafte Empfindungen wahrnehmen lassen. Wie Tarkovski, es gibt etwas Magisches bei ihm, sehr menschlich, selbst wenn seine Filme nicht immer leicht zu bewundern sind.
Es gibt diesen sehr schönen Satz am Ende von «Giorgino»: «Und man wird niemals sterben.» Sagen Sie sich, daß Sie Filme machen, um ebenfalls nicht zu sterben?
Ja, ich glaube, daß darin eine zwangsläufig vitale/lebendige Dringlichkeit liegt, die Dinge zu tun. Auf jeden Fall ist es das, was es mir erlaubt hat, diesen Film zu machen. Eine Mischung aus Leiden und Naivität, die ich zudem im großen Stil wiederfinde in den Figuren von Giorgino und Catherine, die diesen Jungen in der Welt der Kindheit und der Alpträume an die Hand nimmt... In der Tat ist «Giorgino» ein Film über die Kindheit.
Vorbericht zu Giorgino
Paris Match - 13. Oktober 1994
Wirkt der perverse Charme von Mylène Farmer
auch auf der großen Leinwand?
Seit zehn Jahren realisiert Laurent Boutonnat ihre Clips. Kurzfilme mit großem Budget, die die der herkömmlichen Produktionen sprengen. Mit «Giorgino» geht das geheimnisvollste Paar des Show-Business zum Spielfilm über. In der gewohnten Atmosphäre - romantisch und schwarz/düster.
Auf dem Gebiet der Musik, wo es üblich ist, sich an den neuesten Trends zu orientieren, stehen Mylène Farmer und Laurent Boutonnat für einen nicht einzuordnenden Stil, der von makabren Märchen inspiriert zu sein scheint. Anläßlich ihres letzten Konzerts hat Mylène Farmer den Palais des sports in einen Friedhof verwandelt. Ihre zerbrechliche Figur, ihre transparente Blässe, die mit einer flammenroten Mähne kontrastiert, spielt mit der Verbindung von Unschuld und Perversität. Ihre helle Stimme, untermalt von Synthesizer-Echos, läßt mißhandelte Wörter durchdringen, «plus grandir», «géneration désenchantée», oder Töne von Sapphismus, wie in ihrer ersten Single «Maman a tort», aus dem Jahre 1984. Sie reiht Erfolg an Erfolg: «Libertine», «Pourvu qu'elles soient douces» (sie spricht hier von ihren Pobacken), «Amour plastique»...
Seit den Anfängen haben Mylène Farmer und Laurent Boutonnat zusammengearbeitet. Mit exponentiellem Erfolg (zusammen mit Patricia Kaas ist Mylène der Star der französischen Charts). Bis hin zur obersten Weihe: dem «Diamant-Album» (für 1 Million verkaufte Exemplare) für ihre letzte CD «Dance Remixes», die die Gesamtverkaufszahlen auf 4 Millionen erhöht. (Anm. PM: Für «Dance Remixes» hat Mylène KEINE Diamantauszeichnung erhalten, schließlich wurden davon "nur" 200.000 Stück verkauft!) Ein Erfolg, der die Neider des Duos irritiert und stört. Ihre Lieder werden von ihnen als «Psychoanalyse von Zaubermärchen» angesehen und sie halten Mylène für eine «Künstlerin heißer Clips». Von Anfang an hat das Paar genauso viel Wert auf das visuelle Element gelegt wie auf das musikalische. In den 14 von Laurent Boutonnat realisierten Clips der Sängerin zeigt Mylène Farmer ihre Schwierigkeiten des Lebens in phantastischen Umgebungen, barock und morbide. Diese durchstürmte Romantik, diese entschlossen ländlichen und fernab der Zeit seienden Clips sprechen viele, oft junge Leute an. «Ich habe Probleme damit, mich in unsere Epoche hineinzuversetzen», sagt Mylène. «Ich habe Lust, mir eine Welt durch Lieder oder Bilder zu erschaffen, eine, wo alles erlaubt ist.» Eine, wo dieser dekadente und, so die allgemeine Meinung, bemerkenswert umgesetzte «Barry-Lyndonismus» herrscht.
Im Gegensatz zu den ultraschnellen Schnitten, die für Clips sonst üblich sind, nehmen sich die von Farmer/Boutonnat ihre Zeit (mehr als zehn Minuten für ein Lied), eine Geschichte zu erzählen. Nun hat Laurent Boutonnat, kraft der Verbindung dieser Kurzfilme mit der Gangart von Monumentalfilmen, das Verlangen, mit 33 Jahren sich in ein noch ambitionierteres Projekt zu stürzen. Wie üblich haben Mylène und er niemandem vertraut. Gleichzeitig Regisseur, Drehbuchautor und Komponist, bildet er in «Giorgino» natürlich das merkwürdige Universum ab, das ihm vertraut ist. Der Film spielt im Oktober 1918, am Ende des Ersten Weltkriegs. Er erzählt die Missgeschicke eines jungen Arztes (Jeff Dahlgren), der von der Front zurückkehrt und in eine seltsames Versteckspiel mit dem Wahnsinn und dem Tod verwickelt wird.
Die Dreharbeiten fanden in der Slowakei statt, während des Winters 1992, bei minus 20 Grad. Ein komplettes Dorf wurde zusammen mit seiner Kirche, dem Friedhof, der Herberge errichtet, von Pierre Guffroy, einem der besten französischen Bühnenbildner (Cocteau, Bresson, Buñuel, Truffaut, Sautet), der einen Oscar für «Tess» von Roman Polanski erhalten hat, drei Césars für «Que la fête commence» von Tavernier, bevor er für «Pirates» von Polanski und «Valmont» von Milos Forman gearbeitet hat.
In dieser Geschichte, die manchmal dem Alptraum eines Kindes ähnelt, bevölkert von Wolfsrudeln, hat die Liebe die Züge von Mylène Farmer, scheue Kind-Frau, geheimnisvoll und sinnlich... Eine Rolle, die ihr wie auf den Leib geschneidert ist. Sie erklärt: «Laurent und ich fühlen uns instinktiv von grausamen Märchen angezogen, vom Irrationalen. Ich liebe Tiere (Mylène lebt mit zwei Kaupzineraffen, E.T. und Léon) und die Verrücktheit, zum Beispiel die einer zerbrochenen Landschaft, wo der Blick nicht ruhig entlangwandern kann.» Sie gibt zu, von den Bildern von Egon Schiele und von Dali angezogen zu werden und in der Literatur von Henry James und natürlich Edgar A. Poe. Sehr intellektuelle und ausreichend dunkle Referenzen für ein sehr klares Paar, das auf der Klaviatur des Krankhaften spielt.
Interview mit Mylene Farmer / Laurent Boutonnat
Le Temps Libre - 13. Oktober 1994
Interview von J-F Bourgeot
Le Temps Libre: Haben Sie das Gefühl, Ihrer Rolle der Catherine zu ähneln?
Mylène Farmer: Der gemeinsame Punkt ist zweifellos diese Mischung aus Zerbrechlichkeit und Kraft, die in ihr ist. Aber ich würde nicht sagen, daß ich dem nahe bin, ich habe versucht, zu interpretieren. Und ich schöpfe eindeutig aus meinen eigenen Bedrängnissen und meinen Neurosen, um die Figur von Catherin zu nähren. Catherine ist eine junge Frau, die «anders» ist, einen kindlichen und anormalen Charakter besitzt. Fakt ist, daß ich mich im Bereich der Musik niemals als jemanden völlig Normales angesehen habe! Ich habe keinerlei Erinnerung an meine Kindheit. Und das ist sehr schmerzlich. Ich kann mir einige Erinnerungen produzieren, aber ich habe keine wirklichen. Doch im Bereich der Schwierigkeiten mit dem Leben habe ich nichts erfunden - das ist Teil von mir.
Sie sind jetzt glücklicher...
Was ich weiß, ist, daß ich, bevor ich schöpferisch tätig wurde, nicht sehr glücklich war meine wahre Geburt, oder meine Wiedergeburt, datiert von dem Tage, wo ich mich ausdrücken konnte. Und ich brauchte den Blick von irgend jemandem. Ich hatte das Glück, diese Person zu treffen, diese magische und grundlegende Begegnung zu machen... Aber ich kann nicht sagen, daß es mir jetzt besser geht. Ich hatte die Chance, das zu tun, was ich tue, aber heute wünsche ich mir eindeutig Leute, die sich keine Fragen stellen...
Hätten Sie sich mit jemand anderem als Laurent Boutonnat ins "Abenteuer Kino" stürzen können?
Ich glaube ja, ich hätte es tun können, aber entweder gefiel mir der Regisseur nicht oder das Thema. Zur Rolle in «Das Piano» hätte ich ja gesagt!
Die Art des Wahnsinns bei Catherine ist sehr sanft/subtil. Ist das eine Wahl der Schauspielerin?
Ich denke, daß die Figur weniger auffällig als introvertiert ist, aber meine Persönlichkeit hat ohne Zweifel dazu geführt, mich noch mehr Richtung Murmeln zu bewegen. Ich liebe Schreie nicht und in diesem Universum des Films, die sich ans Märchen anlehnt und die uns zwischen dem Wahren und dem Falschen, dem Realen und dem Irrealen wandern läßt, darf die Lesart nicht zu aufdringlich sein. Was mich angeht, so liebe ich Konflikte nicht und ich bevorzuge die Stille. Im Leben reagiere ich nicht auf Aggressionen. Das Leben läßt die (dafür) bezahlen, die zahlen müssen. Ich ziehe es vor, das zu denken und ich konnte es mehrere Male bestätigen...
Ihre Clips waren bereits ambitioniert und generell sehr cineastisch in Szene gesetzt, aber hier macht es Ihnen Spaß, mit der großen Länge zu spielen, oder?
Laurent Boutonnat: Ich bin immer Musiker gewesen und ich habe immer Kino machen wollen. Die Musik war das Ergebnis eines Zufalls. Die Videoclips waren als Erfahrung sehr interessant und ich habe wirklich einiges davon gelernt, seien es die sehr rhythmischen, sehr musikalischen Elemente, seien es Dinge aus dem Bereich des Schreibens und des Cinematographischen (?). Aber jetzt gibt es eine Herrschaft der Bilder, der reinen Bilder. Ich glaube, daß «Giorgino» überdies das Ende eines Zyklus ist. Beim Kino habe ich Lust, mir Zeit zu nehmen, auf einem Gesicht zu verharren, auf einer Landschaft, den Situationen und Dingen ihre Zeit zu geben, um sich an ihre Stelle zu begeben, um zu existieren.
Drei Stunden, das existiert! Es gibt verschiedene Themen in Ihrem Film - welches war das Ausgangsthema?
Ich bin nicht von einer vorher existierenden Geschichte ausgegangen. Kein Buch, kein nichts. Ich bin von unerklärlichen Dingen ausgegangen, und der Film reifte während einer Reihe von Jahren. In er Tat bin ich von Wünschen/Verlangen ausgegangen. Dem Verlangen, einen Film zu machen, das war das Hauptverlangen. Verlangen nach Wind, Schnee, Farben, Staub, Liebe. Abgesehen davon keine andere Sache. Während des Schreibens des Drehbuchs ist zum Beispiel der Krieg erst viel später aufgetaucht. Der erste Weltkrieg hat mich interessiert, weil er ganz einfach den wirklichen Fortschritt der Technologie des 20. Jahrhunderts markiert, den endgültigen Einbruch der neuen Welt in ein sehr rückständiges Universum, das dem Mittelalter ähnelt. Es war auch der Augenblick, in dem die Frauen sich daran machten, nicht wenige Dinge in die Hand zu nehmen...
Interview mit Jeff Dahlgren
20 Ans - November 1994
Jeff Dahlgren, 29 Jahre, Kalifornier und die wahre Entdeckung in «Giorgino», gleicht im Leben einem Halb-Clochard – löchrige Jeans, abgenutzte Schuhe und zottelige Haare. Als Ex-Sänger einer Punk-Band, die sich im letzten Jahr getrennt hat (Wasted Youth), hat der Schönling künftig das Privileg, ein dauerhaftes Mitglied des Kreises Farmer/Boutonnat zu sein.
20 Ans: Sie tragen «Giorgino» auf Ihren Schultern. Eine harte Prüfung?
Jeff Dahlgren: Absolut nicht, nein, dank Laurent: dieser Kerl ist fucking crazy und extrem talentiert. Und Mylène, die meine beste Freundin geworden ist, ist unglaublich. Und doch wollte ich niemals Schauspieler sein, ich wollte nur ausreichend cool sein, damit die Figur glaubwürdig wirkt, das ist alles. Mit den beiden hat es sofort gepaßt, als wenn ich sie schon immer gekannt hätte. Was furchtbar war, war diese verdammte Kälte: man hatte tiefgefrorene Lippen und wenn man seine Ohren berührte war es, als wenn sie abfallen würden...
Haben Sie gemeinsame Berührungspunkte mit dem "andersartigen" Universum des Duos Farmer/Boutonnat?
Wir sind ähnlich. Was mich fasziniert ist die Finsternis, das verborgene Gesicht eines jeden. Wie Giorgino trage auch ich Verzweiflung in mir. Ich bin enttäuscht, weil ich etwas aus meinem Leben machen wollte. Ich denke häufig, daß das Leben ein von vornherein verlorener Kampf ist. Deshalb, wenn ich dem Tod ins Gesicht sehe, erwarte ich ihn wie eine Freiheit, den endlich gefundenen Frieden. Ich will niemanden zum Selbstmord ermuntern, ganz bestimmt nicht, aber ich denke daran manchmal wie eine Erlösung...
Und der Wahnsinn – belauert er Sie oder reizt er Sie?
Er beschäftigt mich. Jeder hat ihn notwendigerweise in sich. Ich kann zum Beispiel ein wenig verrückt sein, oder ein wenig desillusioniert. Ich bin kein Kämpfer gegen das Leben, ich habe viel Hoffnung und viel zu lächeln. Dennoch erwarte ich nichts von der Zukunft. Wenn ich etwas mache, gebe ich das Maximum, danach vergesse ich es, ich gehe zu anderen Dingen über. Ich weiß nicht, ob ich noch einmal Schauspieler sein werde. Wenn es geschieht, umso besser. Wenn nicht, werde ich zum Punk zurückkehren, zur Musik. Ich laufe Reichtum oder Ruhm nicht hinterher. Ich scheiß auf diese verdammten Nichtigkeiten...
Interview mit Mylène Farmer
Le Parisien - 05. Oktober 1994
Interview von Alain Houstraete-Morel
Le Parisien: Haben Sie schon lange vom Kino geträumt?
Mylène Farmer: Ich habe es mir gewünscht, seit ich meine Theaterkurse verlassen habe. Laurent hat seinen ersten Spielfilm mit 17 Jahren gemacht. Trotzdem, als wir uns kennengelernt haben, hat er mir zuerst ein Lied vorgeschlagen, und alles hat ineinandergegriffen. Aber im Hintergrund, mit den Clips anstelle «vielsagender/ausdrucksvoller/expressiver» Geduld (?? «"expressive" patience»), haben wir dieses Abenteuer bereits vorbereitet.
Welche Art von Film mochten Sie als kleines Mädchen?
Das berühmte «Bambi»... unvermeidlich! Später dann hat mich «M. le Maudit» fasziniert.
«Giorgino» befaßt sich mit dem Universum der Psychiatrie. Man sagt, dass Sie es gestriffen haben?
Es ist eine Welt, die mich interessiert und die mich anzieht. Es gibt in der Figur der Catherine einen Teil des Irrealen, der mir als Vorwand für mein Verlangen gedient hat, mehr darüber zu erfahren. Ich konnte während eines Vormittags einen spezialisierten Service («service spécialisé») begleiten, und ich war danach von diesen Menschen, die man krank nennt, inspiriert.
Ist die Ambiguität/Doppeldeutigkeit eine Art von Notwendigkeit?
Eine natürliche Neigung, meinen Sie? ... Ich weiß nicht! Ich stelle sie fest, aber ich pflege sie nicht. Ich nähre mich von ihr. Es ist zweifellos eine unfreiwillige Art, die Sache zu versorgen/verpflegen (?? «d'alimenter la chose»). Ich liebe auf jeden Fall das, was ins Geheimnisvolle geht... Daher der Film!
Seine Seite des grausamen Märchens, seine beunruhigende Atmosphäre, die auch ihre Clips begleiten - erweckt das Ihre Ängste oder Ihr Vergnügen?
Ich kann nicht leugnen, daß darin eine Art von Vergnügen liegt. Die Angst ist für mich eine Art, lebendig zu bleiben. In einer mehr als betäubten Welt ist das ausreichend genußvoll.
Was ist Ihnen von Ihren Ängsten der Jugend geblieben?
Ich habe immer Probleme, mich an meine Kindheit zu erinnern. Sicher ist, daß das Schwarz(e) mir Angst gemacht hat. Es hat in mir damals einen völlig idiotischen Reflex hervorgerufen: die Augen zu schließen! Ich leide auch unter dem berühmten "Unter-dem-Bett-Taumel"... Dem «was ist dort in diesem großen leeren Loch?»
War es beruhigend, Ihre Anfänge als Schauspielerin unter der Regie Ihres Quasi-Alter Ego Laurent Boutonnat zu machen?
Zu wissen, daß die Kamera, die Sie filmt, Sie sehr mag, daß sie das beste für Sie will, gibt zwangsläufig Sicherheit, selbst wenn das extreme Einverständnis auch einige Probleme hervorruft.
In dem Film sieht man Sie ein Mal lachen... Sie sind also doch dazu fähig?
Der Beweis wäre gemacht (lächelt). Selbstverständlich existiert das Lachen in meinem Leben! Ich habe mir sogar mein Lachen eines kleinen Mädchens bewahrt. Die Jahre haben es nur mit einer Schicht von Zynismus überdeckt und, Stück für Stück, zum... höhnischen Lachen/Kichern verwandelt.
Andererseits bleiben Sie sehr zurückhaltend... Ist es trotzdem wahr, daß Sie, wenn Sie sich entblößen, es tun, um «sich mehr zu mögen»?
Ich glaube, daß man sich durch den positiven Blick des Anderen (l'autre) ein wenig mehr mögen kann.
Auch ohne nackt zu sein, aber mit einem Tröpfchen auf den Lippen oder noch den Daumen im Mund, besitzen Sie die Kunst der Provokation... Beunruhigt Sie die Beunruhigung/Verwirrung?
Gewiß. Es ist besser, begehrt zu werden als dessen Gegenteil, oder? Aber das bleibt ein Spiel. Ganz sicher kein Glaubensbekenntnis.
Auf dem Bildschirm stellen Sie in perfekter Weise den Rausch dar, den des Äthers wie den des Alkohols. Ist der Exzess Ihr Freund?
Ich liebe den Exzess genauso wie ich die Maßlosigkeit mag. Sie sind unverzichtbar für mein Leben. Ich mag den Spalt/Riß/Knick («fêlure») derjenigen, die trinken, so wie eine gewisse Annäherung an den primitiven, animalischen Zustand. Angeheitert zu sein bedeutet häufig, sich von einer schlechten Hülle zu befreien, die einen zu steif erscheinen läßt. Natürlich mißtraue ich der Zerstörung, den nicht zu überspringenden Grenzen und der Ehrfurchtslosigkeit sich selbst gegenüber. Aber ich beanspruche das Recht auf Raserei.
Sie sind mit Luc Besson befreundet und haben einen Affen, der Léon heißt. Steckt ein Geheimnis dahinter?
Nein. Das ist nur Zufall. Ich habe auch einen Affen, der E.T. heißt, und ich kenne Spielberg nicht! (lacht)
Warum leben Sie den Großteil der Zeit in den Vereinigten Staaten?
Ich bevorzuge das Gefühl der großen Ausdehnung, das man dort empfindet. Und außerdem benötige ich häufig Anonymität.
Normalerweise sind Sie sehr still. Für «Giorgino» haben Sie trotzdem einige Interviews akzeptiert. Sind Sie nahe daran, sich Gewalt anzutun, wenn die wirtschaftlichen Interessen Sie schwer belasten?
Ich bin nicht sehr mitteilsam, das ist wahr. Gelassenheit ist nicht meine Stärke, das stimmt auch. Aber ich habe entdeckt, daß ich andere benötige. Ich versuche deshalb, mich ein wenig mehr denjenigen zu offenbaren, die sich wirklich dafür interessieren. Ich weiß trotzdem, daß, wenn die Nacht gekommen ist, ich den Eindruck haben werde, ein wenig geschändet zu sein. Nicht die richtigen Worte gefunden zuhaben.
Wenn man Sie «ohne Fälschung» («sans contrefaçon» ) beschreiben will - um den Titel eines Ihrer Lieder aufzugreifen -, muß man von «Libertine» («Wüstling/liederliches Frauenzimmer...») oder von «Désenchantée» («Ernüchtert/Desillusioniert») sprechen?
Ernüchtert/desillusioniert, ohne den Hauch eines Zweifels. Aber trotz allem... nicht enttäuscht.
Man sagt, daß eine Frau gereift ist, wenn sie den Wunsch nach einem Kind verspürt.
Sagt man das? (Sie zögert.) Ich denke daran... oft... sehr, sehr oft.
Interview mit Mylène Farmer
Studio Magazine - Januar 1994
Interview von Jean-Pierre Lavoignat
Studio Magazine: Es heißt, Sie wollten ursprünglich Schauspielerin werden und daß die Musik, das Singen quasi durch Zufall kamen. Erinnern Sie sich, wann dieser Wunsch, Schauspielerin zu sein, geboren wurde?
Mylène Farmer: Mit circa sechzehn Jahren, als ich mich entschieden hatte, daß der Reitsport (ich ritt damals viel) kein Beruf für mich ist. Ich wandte mich dann dem Theater zu. Ich hatte daran vielleicht schon früher einmal gedacht, aber diesen Gedanken vorher nicht klar ausgedrückt/formuliert. Wenngleich es sicher ist, daß dieses Verlangen bereits seit geraumer Zeit in mir bestand, aus der (Vorher-)Bestimmung herauszutreten, etwas zu tun, was die anderen nicht machen...
Haben Sie als Kind mit dem Erfinden von Rollen/Personen gespielt?
Ich habe nur sehr wenige Erinnerungen an meine Kindheit. Ich versuche nicht, mir eine Persönlichkeit zu erzeugen, ein Geheimnis, es ist einfach so, daß ich kaum Erinnerungen habe, daß ich nicht weiß, wie ich war.
Haben Sie sich selbst darüber befragt?
Nicht wirklich. Ich weiß einfach, daß ich keine unglückliche Kindheit hatte, und daß es kein besonderes Ereignis gab, das dafür sorgte, daß ich mit einem Mal vollkommen blockiert war, und das es nun nötig hätte, ausgelöscht zu werden... Möglicherweise ist es bloß ein totales Desinteresse für mich als Kind...
Was erzeugte bei Ihnen das Verlangen, Schauspielerin (am Theater) zu sein, nachdem Sie das Reiten aufgaben? Filme? Schauspieler & -innen?
Ich weiß nicht, es ist recht verworren. Ohne von Berufung sprechen zu wollen: ich hatte das Gefühl, daß es etwas Selbstverständliches für mich darstellte – obwohl das nicht heißen soll, daß die Umsetzung in die Tat ebenso selbstverständlich war! (lacht) Ich wußte einfach, daß es das ist, was ich tun sollte, ich habe mich nicht gefragt, warum. Vielleicht war es das Verlangen, mich hinreißen zu lassen, und der Wunsch, zu erschaffen. Ich empfand auf jeden Fall, daß dies ein lebenswichtiges, vitales Bedürfnis für mich war. So sehr, daß ich sagte: «Wenn ich kein Kino mache, sterbe ich...» Sicher waren das nur Worte, und zweifellos übertrieb ich mit dieser Formulierung ein wenig. Ich wollte damit nicht unbedingt sagen, daß ich mir eine Kugel in den Kopf jagen würde, aber man kann auf andere Weisen sterben. Man kann (v)erlöschen, man kann das, was man ist, in den Wind schreiben...
Wie erklären Sie sich dieses vitale Bedürfnis?
Durch das Bedürfnis nach dem Blick/der Betrachtung des anderen. Durch und durch. Definitiv, ja.
Haben das Singen und die Live-Konzerte dieses Bedürfnis nicht befriedigt?
Die Konzertauftritte schon. Die Briefe, die ich erhalte, selbstverständlich auch. Ebenso die Tatsache, daß, wenn jemand eine meiner Platten kauft, dies bereits ein gewaltiger Beweis von Liebe ist. Aber sie verhindert nicht...
Bette Davis hat einmal gesagt, daß viele Darsteller deswegen Schauspieler geworden sind, weil sie sich selbst nicht ertragen können...
(bricht in Lachen aus): Diesen Standpunkt kann ich voll und ganz unterschreiben. Sich selbst zu hassen und gleichzeitig die Lust zu haben, im Licht zu stehen... das ist eine paradoxe aber dennoch äußerst zutreffende Dualität...
Da Sie von Dualität sprechen: Es ist etwas Verwirrendes bzw. Aufregendes in dem Bild von Ihnen, daß Sie durch Ihre Clips vermitteln: Je mehr Sie sich zeigen, je mehr Sie sich darstellen, desto weniger faßbar werden Sie...
Zweifelsohne ist dies meine grundsätzliche Natur... Und wenn Sie diesen Eindruck haben, dann einfach deshalb, weil dies etwas ist, das nicht (künstlich) erzeugt wird...
Und es gibt immer diese Doppeldeutigkeit: halb Mädchen – halb Junge; halb Opfer – halb Henker...
Das gehört zu mir. Wenn ich nicht befürchtete, offene Türen einzurennen, würde ich Ihnen sagen, daß man unterschiedliche Facetten und verschiedene/multiple Persönlichkeiten hat. Das grenzt an Schizophrenie – aber in der Stärke, wie die multiplen Persönlichkeiten bei mir ausgeprägt sind, ist es noch lebbar... mehr noch: sogar angenehm...
Kommen wir auf Ihr Verlangen, Schauspielerin zu werden, zurück. Sie haben dann Theaterkurse besucht – was haben Sie dort gelernt?
Ich habe häufig auf der Bank gesessen! Ich habe dort einen Lehrer kennengelernt, den ich sehr geliebt habe, aber das war alles... Was das Spielen und den ganzen Rest anbelangt, habe ich, glaube ich, nicht besonders viel gelernt. Aber weil ich nichts lernen wollte. Ich habe immer gewußt, daß es nötig war, den passenden Moment abzuwarten, um das zu geben, was ich zu geben hatte. Damals war zweifellos nicht dieser Moment. Ich mochte es, die anderen spielen zu sehen, es war eine Welt, die ich sehr liebte, aber ich hatte beispielsweise keine große Lust, auf die Bühne zu steigen. Ich war zu introvertiert und ich hatte zu viel Angst, mich nicht herausziehen zu können. Ich bemerkte erst sehr viel später – als ich bei den Konzerten auf die Bühne ging, um zu singen –, daß dies ein Kampf war, der in größerem Glück enden konnte... Aufzutreten mag natürlich erscheinen, aber für mich ist es extrem gewaltsam/heftig und konfliktreich/zwiespältig. Glücklicherweise existiert dort dieses derartig intensive Glücksgefühl...
Erinnern Sie sich an das erste Mal, als Sie auf der Bühne gesungen haben?
Ja. Es war in Saint-Etienne. Mir erscheint ein Bild (vor dem geistigen Auge), um sehr präzise auszudrücken, was ich an diesem Tag empfunden habe. Ich erzähle (sie sagt «livrer», was man übrigens auch mit «übergeben», im Sinne von «etwas der Öffentlichkeit übergeben = preisgeben» übersetzen kann; Anm. P.M.) es Ihnen, obwohl es nicht sehr hübsch ist: Ich hatte das Gefühl, meine Eingeweide erbrochen zu haben... und mit einer starken Empfindung von Glückseligkeit... Die Bühne ist notwendigerweise etwas, das einen erhebt... Was den Unterschied zum Kino ausmacht, ist, daß ich beim Bühnenauftritt den Eindruck habe, «Ich brauche Euch/Sie» zu sagen, während ich beim Kino erwarte, daß ein Regisseur mir sagt «Ich brauche Sie». Gewiß habe ich dies bei Laurent empfunden, aber das ist etwas anderes, weil man sich kennt und man weiß, daß man miteinander arbeitet. Ich fühle, daß ich diese Erklärung brauche...
Warum haben Sie mit Ihrem Schauspielunterricht aufgehört?
Er war nichts weiter als eine Etappe... Es gibt Dinge, die sich nicht erklären. Man läßt sich durch verrinnende Tage tragen, und eines Morgens sagt man sich: «Stop. Ich habe meine Kurse beendet.» Und genau das ist geschehen. Ich muß so um die 18 oder 19 Jahre alt gewesen sein.
Und was haben Sie dann getan?
Da war das schwarze Loch! Man hat gut reden, sich zu sagen "Ich will Schauspielerin sein, ich will Theater oder Kino machen..." – wenn sich niemand findet, um einem zuzuhören, kommt man kaum voran... Diese ganze Periode damals war natürlich durchsetzt mit diversen Jobs, mit denen ich nebenbei meinen Lebensunterhalt bestritt. Ich habe Schuhe verkauft, ich arbeitete als Mannequin, ich habe sogar einem Gynäkologen assistiert... (lacht) Es ist eine Zeit, die ich verabscheue. Genauso, wie ich die Adoleszenz verabscheue (ich habe trotz allem einige Erinnerungen an die Schule! (Mylène hatte das Gymnasium im letzten Jahrgang, also kurz vor dem Abitur verlassen)). Die meinige auf jeden Fall.
Das ist erstaunlich, denn Ihre Lieder und Ihre Clips legen oftmals eine Art ewige Pubertät frei...
Vielleicht höre ich just deshalb nicht auf, sie zu untersuchen...
Haben Sie während dieses "schwarzen Lochs" an Ihnen und Ihrer künstlerischen Berufung gezweifelt?
Ich zweifele ständig! Aber ich denke, daß ich etwas in mir habe, das dauernd für eine Balance sorgt. Man kann sich verabscheuen, keinerlei Zutrauen in sich selbst haben – und gleichzeitig eine Kraft, eine Entschlossenheit, eine Energie besitzen, die die anderen nicht haben. Ich glaube, daß ich diese beiden Elemente habe... Es ist sogar sicher, ansonsten wäre ich nicht hier (hätte ich nicht das erreicht, was ich erreicht habe)! Selbst wenn ich weiß, daß ich mehr leiden werde, gibt es in mir immer dieses Verlangen, weiterzukommen, höher, stärker oder schneller...
Nach diesem "schwarzen Loch" haben Sie Laurent Boutonnat getroffen und schlagartig Ihr Debüt in der Welt der Musik gegeben. Wie haben Sie sich kennengelernt?
Ein gemeinsamer Freund hat uns miteinander bekannt gemacht. Sie hatten das Lied «Maman a tort» geschrieben, und ich paßte zu der Persönlichkeit/Figur, die Sie suchten.
Und hatten Sie auch das Gefühl, daß Sie zu dem Lied paßten?
Es war die Schauspielerin in mir, die sich damals durchgesetzt hat. Zu wissen, daß es einen Teil in mir gab, der sich in dem Lied wiederfand und einen anderen, der damit spielte, sich dort zu finden. Danach hat alles ineinandergegriffen. Aber ich hatte mir nicht vorgestellt, jemals irgend etwas auf dem Gebiet der Musik zu unternehmen. Dies kam also folglich sehr plötzlich und unerwartet, und die Bekanntschaft mit Laurent war etwas sehr, sehr Wichtiges für mich.
Was beeindruckte Sie am meisten, als Sie Laurent Boutonnat trafen?
Seine Augen, denke ich. (lacht) Augen, die gleichzeitig sehr sanft und die Augen eines Verrückten sind! Außerdem wußte ich sofort, daß ich es mit jemandem sehr, sehr Talentierten, aber sehr Verschwiegenen, zu tun hatte, dem es schwerfiel, sich auszudrücken...
Haben Sie sehr bald Gemeinsamkeiten Ihrer Universen gespürt? Denn in Ihren Clips existiert eine ästhetische Welt, die sehr kohärent (zusammenhängend), einzigartig ist und bei der man als außenstehender Beobachter nicht weiß, welcher Teil von Ihnen und welcher von Laurent Boutonnat kommt...
Unsere Welten vereinigen sich (treffen sich wieder), das ist wahr... wir sind wie Zwillinge. Seine Fähigkeit, dieses Universum aufzudecken, ist zweifellos größer als die meinige. Ich hatte anfänglich kaum etwas anderes getan, als zu schreiben... seit dem ersten Album. Ganz zu Beginn war es Laurent, der schrieb, aber ich habe bald gemerkt, daß ich es brauche. Ich habe dann seinen Platz eingenommen und ich glaube, daß ihn das erleichtert hat. (lacht)
Ist das Kino für Sie eine Quelle der Inspiration?
Ich denke da an Lieder wie «Tristana» und «Greta»... Es wäre übertrieben, zu sagen, daß es eine Quelle der Inspiration ist. Die wirkliche Quelle der Inspiration ist... "mein Bauchnabel" (heißt: "... bin... ich selbst")! Ich kann letztlich über nichts anderes sprechen als über mich selbst. Auf jeden Fall war es zu Beginn so, vielleicht ist das heute anders. Es ist nötig, daß ich versuche, auch über andere zu sprechen...
Gehen Sie oft ins Kino?
Ich gehe immer öfter dahin. Ich muß sagen, daß ich jetzt nicht mehr diese Zurückhaltung habe, die ich noch vor einigen Jahren besaß, auf die Straße, ins Kino zu gehen, angesehen zu werden. Ich fahre fort, mich der Zurückhaltung zu entledigen... seit dem Film.
Sind es die Dreharbeiten zu «Giorgino», die Sie von diesem ängstlichen Gefühl befreit haben?
Ich weiß nicht, ob es die Dreharbeiten als solche waren, auf jeden Fall aber die Begegnungen mit gewissen Personen. Und außerdem, ohne daß ich es konkret ausdrücken oder definieren könnte, ist es so, als ob ich mich während des Films von etwas gelöst, befreit habe, das seit langem in mir vergraben lag.
Welches sind Ihre bevorzugten Filmemacher?
Ich liebe Jane Campion, von der ich alle Filme gesehen habe. Ich mag Bergman sehr... seine Worte. Seine Stille(n) insbesondere... Aber ich mag auch David Lean, Polanski, Annaud, Sergio Leone...
Es ist offensichtlich, daß das Drehen der Clips für Laurent Boutonnat ein alternativer Weg war, um Kino zu machen. Empfanden Sie genauso?
Auf jeden Fall nicht in gleichem Maße. Vor allem existieren in den Clips kaum die Stimmen der Personen, es gibt nur den Gesang. Während der Dreharbeiten zu «Giorgino» hatte ich den seltsamen Eindruck, meine Stimme nicht immer wiederkennen zu können, weil es gleichzeitig die meinige und die der Figur war...
Konnten Sie sich vorstellen, Ihren ersten Film mit jemandem anderen als Laurent Boutonnat zu drehen?
Das wäre nicht mein Wunsch gewesen, aber es dauerte derartig lange, bis «Giorgino» das Licht der Welt erblickte, daß er (der Wunsch, mit jemandem anderen zu drehen) auch aufkommen mußte. Ich hatte einige Angebote, aber man muß sich einreden, daß es nicht die besten waren! (lacht)
Was haben Sie abgelehnt?
Das möchte ich Ihnen nicht sagen. Weniger um mich, sondern um den Film oder den Regisseur zu schützen. Ein einziges Angebot hatte mich wirklich gereizt, aber es überschnitt sich zeitlich mit meiner Tour (Ende 1989/Anfang 1990).
Was waren Ihre Empfindungen, als Sie das Szenario zu «Giorgino» zum ersten Mal lasen?
Ich mochte die Welt sehr. Und diese dunkle und stürmische Geschichte. Der Titel gefiel mir ebenfalls: in diesem Wort existiert etwas Kindliches und Mysteriöses...
Die Dreharbeiten spielten sich in allergrößter Abgeschiedenheit ab. Sie haben bis zum heutigen Tage kein einziges Bild gezeigt. Die einzige Sache, die Boutonnat bislang offenbaren wollte, war, daß es sich um eine Geschichte romantischer Liebe handelt. Wie würden Sie Ihre Rolle definieren?
Es handelt sich um eine junge Frau, die Schwierigkeiten hat, die Kindheit zu verlassen, die einen Gutteil der Zeit quasi das Verhalten eines Autisten zeigt. Sie ist jemand, die ein wenig verloren ist, gleichzeitig jedoch eine große Luzidität (Hellsichtigkeit) besitzt. Sie könnte ein Kind von zehn Jahren sein, aber mit einer erstaunlichen Umsicht. Die Leute verstehen sie nicht besonders, es gibt deswegen in dieser Hinsicht notwendigerweise Gewalt/Heftigkeit...
Wie haben Sie gearbeitet? Haben Sie lange Zeit alleine darüber nachgedacht? Haben Sie viel mit Laurent Boutonnat darüber gesprochen?
Nein, recht wenig. Ich habe ihn gefragt, wie er meine Rolle sieht, ich habe ihm zugehört und dann haben wir nicht mehr allzu oft darüber geredet. Ich habe mir von meiner Seite her gewünscht, Menschen aus Nervenheilanstalten zu treffen. Um zuzuhören, zu sehen... Auf jeden Fall bin ich fasziniert von autistischen Kindern. Von dem Geheimnis, das sie bewahren. Von ihrer Unfähigkeit, mit der Außenwelt zu kommunizieren, ohne daß man weiß, ob es sich nun um eine innere Entscheidung aus eigenem Willen handelt oder es angeboren ist. Ich fühle mich diesen Menschen näher als... den gewöhnlichen Sterblichen, hätte ich fast gesagt... Sie sind derartig ergreifend... Für den Film wollte ich auf jeden Fall weder zu offensichtliche noch zu übertriebene Dinge. Man muß aufpassen: Es ist außerordentlich leicht, sich vom Schauspiel einer Geisteskrankheit, durch die Gebärden der Verrücktheit forttragen zu lassen... Ich habe also beobachtet, um die kleinen Dinge zu entdecken, die dahinter liegen, und die, wie ich mir vorstelle, für andere kaum wahrnehmbar sein werden. Ich glaube, daß ihnen/einem danach die Tatsache, hinter einem gewissen Schutzwall zu leben, mehr hilft als alles andere. Mit einem Schlag schwankt man in einer Welt, die nicht mehr die eigene ist. Das ist nicht mehr alltäglich...
Hatten Sie diesen offensichtlichen Hang zu Kostümen schon immer? Hängt er mit der Neigung zum Schauspielen zusammen? Woher kommt er?
Darauf kann ich Ihnen nicht antworten, ich weiß nicht, woher er stammt! (lacht) Ich habe Kleidungen, Stoffe, das Spiel auch früher schon geliebt... Und ich mag es, mich zu verkleiden, mein Erscheinungsbild zu verändern. Es hängt also mit meinem Verlangen zusammen, jemand anderes zu sein... Ich habe eine Leidenschaft für Kleidung. Und noch mehr für Schuhe! Aber Ihnen zu sagen, woher das kommt...
Als Sie am Drehort von «Giorgino» eintrafen, empfanden Sie da die Bestätigung, daß Sie sich in Ihrem Wunsch, Schauspielerin zu sein, nicht geirrt hatten?
Absolut. Es war sozusagen evident. Achtung, das ist keine Anmaßung von mir, es soll bloß heißen, daß ich das Gefühl hatte, daß das Schauspielen auf natürliche Weise zu mir gehört. Die Bühne des Kinos war offensichtlich das richtige für mich. Die Kamera war eine Offensichtlichkeit. Ich will nicht behaupten, daß ich sie liebe, aber sie ist eine Offensichtlichkeit.
Als was betrachten Sie sie? Als einen Spiegel? Als einen Feind?
Ich kann das nur für die Kamera von Laurent beantworten, da ich bisher noch mit keiner anderen gearbeitet habe. Ich weiß, daß es eine Kamera ist, die mich liebt, die da ist, um mir zu geben und mich dazu zu bringen, das beste von mir selbst zu geben. Sie ist kein Feind.
Der Film wurde in Englisch gedreht – war das eine zusätzliche Herausforderung?
Englisch ist eine Sprache, die ich mag und die ich sehr schön finde, also war es nicht schwierig. Aber es war ein zusätzliches Gefühl von Verschiebung/Entfernung. In einer Sprache zu spielen, die nicht die eigene ist, ist seltsam, und angenehm, da seltsam. Der Film wurde in Englisch gedreht, weil Laurent, da er die passende Besetzung in Frankreich nicht fand, diese im Ausland gesucht hat.
Erinnern Sie sich an Ihren Gemütszustand am Vorabend des ersten Drehtages von «Giorgino»?
Ich hatte Lampenfieber, natürlich! (lacht) Ich fürchtete mich davor, mit dem Spielen zu beginnen... Auf die Bühne zu steigen ist etwas anderes. Man ist allein. Allein gegenüber der Welt. Selbst wenn dort Techniker sind, selbst wenn dort Vorbereitungen stattfanden. Beim Kino ist es plötzlich notwendig, sich mit fünfzig Personen, die sich um einen herum befinden, auseinanderzusetzen, sich an ihnen zu reiben. Es ist sehr schwierig, seine Hemmungen jäh auszuschalten, sich von seinen Ängstlichkeit, von sich selbst, zu distanzieren. Aber sobald das geschehen ist, man eingeklinkt ist, hat man nicht mehr die Zeit, großartig darüber nachzudenken und man schreitet unverzüglich voran... Darüber hinaus spielten sich diese Dreharbeiten unter sehr schwierigen, anspruchsvollen Bedingungen ab... vor allem körperlichen. Weil Laurent mich viel laufen ließ! (lacht) Manchmal mit einengenden Kleidern, im Schnee, bei minus 20 Grad und bis einem der Atem wegblieb! Die männliche Seite in mir hat mir dabei genutzt... Auf jeden Fall wollte ich jeden Tag dort sein, auch wenn ich drehfrei hatte. Ich habe also fünf Monate damit verbracht, um fünf Uhr morgens aufzustehen. Ich bewunderte es, mit anzusehen, wie sich dieses Puzzlespiel Stück für Stück zusammenfügte. Figuren zu sehen, die lebendig wurden...
Ist es Ihnen passiert, daß Sie mit den Dreharbeiten zusammenhängende Alpträume hatten?
Wissen Sie, Alpträume habe ich praktisch jeden Tag, also... Ich glaube sogar, daß ich sie liebe. (lacht) Ich liebe Träume im allgemeinen, aber Alpträume suggerieren manchmal sehr viel interessantere Dinge. Seltsamerweise waren die Träume während des Films mehr auf die menschlichen Beziehungen als auf das Schauspielmetier selbst bezogen. Und das war etwas recht Heftiges. Fünfzig oder mehr Personen, die während der fünf Monate eng zusammenlebten, das ist sehr enthüllend in Bezug auf... auf die menschliche Seele... Es gibt viel Mogelei, viele Lügen. Sicher, diese Sachen gehören zum Leben, aber sagen wir außerdem, daß man auch gut ohne sie auskommen kann. Insbesondere dort, in diesen Momenten...
Haben Sie das niemals vorher empfunden, während Ihrer Tournee beispielsweise?
Ich hatte mich sicherlich ständig geschützt. Ich sehe recht wenig von der Welt. Ich habe mir eine eigene Welt kreiert und ich sehe überwiegend Menschen, die ich liebe. Und mit einem Mal ist man gezwungen, Personen, mit denen man nicht unbedingt viel gemeinsam hat, wenn nicht zu schätzen so doch zumindest Seite an Seite mit ihnen zu sein. Und das ist nicht einfach...
Trotz der engen und vertraulichen Beziehung, die Sie zu Laurent Boutonnat haben?
Vergessen Sie mal für den Moment das enge Verhältnis zu Laurent! (lacht) Weil er während der Dreharbeiten ein anderer Mann war. Er hat sich völlig geändert. Er ist jemand, der für mich vollkommen neu war. Er besaß auf der einen Seite ein absolutes Vertrauen – Laurent weiß derartig genau, was er will und was er tut, er ist derartig bestimmt/klar, er hat ein Auge, das so sehr für die Kamera geschaffen ist... Und auf der anderen Seite war die Abwesenheit von Dialog. Er hatte es sicherlich nötig, sich vor der Welt abzuschirmen, um dieses Unternehmen in seinem Sinne zu leiten. Ich respektiere das. Heute auf jeden Fall. Jetzt, wo es abgeschlossen ist. Und weil es letztlich für ihn selbst konfliktreich und problematisch war.
Haben die Dreharbeiten Ihre Beziehungen zueinander verändert?
Notwendigerweise, da ich einen anderen Mann entdeckt habe. Es stellt sich nicht die Frage, ob das gut oder schlecht ist, sie haben sich einfach geändert. In bezug auf mich war es sicherlich am härtesten, aber das ist ganz normal. Was erstaunlich war, war, ihn in einer Art Wahnsinn schaukeln zu sehen, in seinem eigenen Wahnsinn, einem sehr vernünftigen natürlich, aber trotzdem... Er war eine Kampfmaschine! Und ich hatte manchmal das Gefühl, dort zu sein, ich, als das zerbrechlichste Wesen der Welt, allein gegen eine Kampfmaschine! (lacht) Täuschen Sie sich nicht, es liegt keinerlei Bitterkeit in dem, was ich sage. Es ist nur eine Feststellung. Das konnte ohne Zweifel nicht anders sein...
Was erwarten Sie von einem Regisseur?
Daß er unüberwindliche Dinge von mir fordert. Daß ich das Unüberwindliche spiele...
Simone Signoret sagte einmal, daß es nicht der Schauspieler ist, der in die Haut einer Figur/Rolle schlüpft, sondern vielmehr die Figur in die seinige...
Genau – während des Drehens fragte ich mich, ob es Mylène war, die Catherine nährte, oder ob Catherine Mylène nährte... Ich wußte es nicht... Während der Szenen hatte ich nur das Gefühl, daß die Grenze zwischen dem Normalen und der Verrücktheit sehr schmal ist, sehr schmal...
Haben Sie den Eindruck einen Sprung in die Leere vollführt zu haben, indem Sie vom Singen zum Kino gegangen sind?
Es scheint mir auf jeden Fall, daß ich nicht das Recht habe, mich dabei zu irren, und ich vielleicht weniger als sonst jemand. Es ist da, etwas sehr Heftiges. Und außerdem existiert diese Furcht, nicht an seinem Platz zu sein. Es ist sehr schön, gesagt zu haben «Ich will, ich will...», aber jetzt, wo ich es getan habe...
Warum sagten Sie "ich, weniger als sonst jemand"?
Zunächst, in Bezug auf mich, weil ich lange davon geträumt habe, weil ich lange Zeit auf diesen Moment gewartet habe. des Weiteren, in Bezug auf die anderen, weil ich diesen Weg hatte, diesen Erfolg, und weil die Leute nicht immer sehr sympathisch waren und weil einige mich daher jetzt am Wendepunkt erwarten...
Haben Sie Angst davor?
Jetzt, wo wir darüber sprechen, ja! Eben darum arbeite ich vermutlich momentan so viel, um nicht daran zu denken.
Man hat gleichzeitig den Eindruck, daß diese Angst einer Ihrer Antriebskräfte ist...
Sie ist ein großer Motor! Sie ist keine destruktive Angst, sondern ganz im Gegenteil eine Furcht, die mich stärker vorantreibt...
Man fühlt bei Ihnen, sehr drängend, die Suche nach einem Absoluten ("absolu")...
Ja. Sich nicht damit zufrieden zu geben, was man macht. Sich selbst überraschen zu wollen. Das Verlangen zu haben, Fortschritte zu machen. Das Bedürfnis zu haben, etwas zu riskieren, die völlige Sicherheit aufzugeben.
In Ihren Clips existiert eine Art von Faszination für das Tragische, die wie eine Veranschaulichung von Edgar Poes Aussage «Die Schönheit ist synonym mit Tod» scheint... Sie haben zudem ein Lied geschrieben, das «Allan» heißt, wie der zweite Vorname von Poe...
Ganz sicher ist er ein Schriftsteller, den ich häufig erwähne. Ich mag außerdem Julien Green sehr. Und Henry James... All diese etwas seltsamen, fremdartigen Atmosphären, diese Vermischung der Formen und Gefühle... Ich finde mich in ihnen wieder. In einer ausgezehrten Landschaft kann ich die ganze Schönheit der Welt erblicken. Während jemand anderes sagt, daß er sie in einem blühenden Baum sieht. Ich bevorzuge definitiv den verbrannten Baum. Warum? Ich weiß es nicht. Ohne Zweifel, weil es meine grundlegende Natur ist. Sie (die ausgezehrte Natur etc.) erzählt von Leiden, und das bewegt mich...
In Ihren Texten und Clips gibt es außerdem etwas, das nicht nur Sehnsucht, sondern auch Melancholie hervorhebt. Man merkt Ihren Hauptfiguren an, gleichzeitig mit einer ganzen Vergangenheit ausgestattet...
... und Träger von nichts (??) zu sein?
Ja, so ist es. Stammt dies mehr von Ihnen oder von Laurent Boutonnat?
Das müssen Sie ihn ebenfalls fragen. Ich würde aus freien Stücken sagen, daß es von mir kommt, aber daß er die Mittel hat, um all das visuell auszudrücken... Aber ich weiß es nicht so genau. Obwohl wir eine völlig unterschiedliche Kindheit hatten, sind wir für die gleichen Dinge sensibel. Wir sprechen darüber recht wenig miteinander. Wir sind sogar ein wenig empfindlich dabei... (lacht)
Und teilen Sie auch seine Vorliebe für weite, schneebedeckte Ebenen/Gegenden?
Ja, zumal ich diese Welt innerhalb der schönen Umgebung des Schnees betreten habe (Mylène wurde am 12.9.1961 in Montreal, Kanada, geboren). Und diese Landschaften berühren mich zutiefst. Zweifelsohne wegen der Abwesenheit von Spuren/Prägungen. Und außerdem rufen sie Traurigkeit und Melancholie hervor. Dinge, die köstlich sein können: manchmal mag man es, sich weh zu tun. Es gibt eine Art Lust in diesen Zuständen. Nennen Sie das Sadomasochismus, wenn Sie wollen...
In Ihrem Werk und Ihren Entwicklungsschritten gibt es etwas Berührendes – das ist, wie aus einem gewissen "mal de vivre" (Mühe, zu leben) – wie bei der (französischen Chanson-)Sängerin Barbara – eine bestimmte Lebenswut wird...
Die Schwierigkeit des Seins ("difficulté d’être") ist universell, nicht? Es stimmt, daß ich dabei bin, an dieser "Lebensmühe" zu knabbern (sie abzubauen), aber man soll nicht denken, daß ich mich dieser wie eines Werkzeuges bediene. Es wäre sicher krankhaft, sein "mal de vivre" beispielsweise zu Marketingzwecken zu verwenden...
Befürchten Sie nicht, daß man Ihnen das vorwirft, so kohärent Ihr Universum auch ist?
Man hat es mir schon vorgeworfen. Aber ich habe gelernt, zu kämpfen. Ich habe gelernt, dadurch nicht mehr verletzt zu sein: Es gibt immer Worte, die einem weh tun oder einen in die Knie zwingen sollen. Aber wenn man zu anfällig und empfänglich für das Urteil anderer Leute ist, ist das eine Katastrophe. Man endet damit, sich darin zu verlieren. Ja, man hat es mir vorgeworfen... Außerdem ist es für eine Frau, so scheint es mir, auch heute noch schwieriger, zuzugeben, daß sie ein "être désespéré" (verzweifeltes Sein/Wesen) ist. Ich habe den Eindruck, daß dies etwas ist, das mehr eine männliche "Entität" (Wesenheit) darstellt...
Haben Sie den Eindruck, daß der Erfolg und der Ruhm diese "Lebensmühe" ein wenig geheilt oder dieser im Gegenteil sogar Nahrung gegeben haben?
Mich davon geheilt? Definitiv nicht. Sie ist da, latent, seit immer und für immer. Ich weiß, daß dies bis zum Ende meiner Tage so sein wird. Hat er sie genährt? Ich weiß nicht. Sagen wir vielleicht, daß die Abgründe tiefer und die Gipfel höher geworden sind...
Bewegend im Abenteuer von «Giorgino» ist, daß man wirklich das Gefühl hat, daß der Film aus der Vereinigung zweier sehr starker und alter Verlangen nach Kino geboren wurde, Ihres und dessen von Laurent Boutonnat...
Das ist wahr. Seit wir uns getroffen haben, kreisten unsere Gespräche ums Kino. Auch davor haben wir schon ständig darüber geredet...
... so sehr und so intensiv, daß man nicht weiß, ob dies nun das Endergebnis zweier Wege ist oder der Aufbruch in ein neues Abenteuer...
Ich habe vielmehr den Eindruck, daß es der Beginn eines neuen Abenteuers ist...
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